Das Bergdorf Guarda – Perle im Unterengadin

Wir sind immer noch in Graubünden und möchten euch heute einladen in ein kleines Bergdorf im Unterengadin, das wir am Ende unserer Pässetour besucht haben. Kommt mit nach Guarda, das mit seiner typischen Engadiner Baukultur unter nationalem Schutz steht und Heimat eines Schweizer Kinderbuchhelden ist.

Anreise

Kommt man von Westen (aus Richtung St. Moritz oder vom Ofenpass), geht es auf der Kantonsstraße 27 entlang des Inns Richtung Scuol. 7 Kilometer hinter Susch erreicht man die Abzweigung nach Guarda. Nun sind es nur noch 3,5 km, die sich die Bergstraße am Hügel hoch schlängelt.

Vor dem autofreien Dorf befindet sich auf der linken Seite ein großer Parkplatz, der an der Seite auch gute Möglichkeiten für Camper bietet. Zu Fuß ist man in knapp 15 Minuten im Ortskern (ca. 750 Meter). Aus Rücksicht auf die Anwohner sollte man auf keinen Fall durch das enge Dorf fahren, auch wenn wir keine Verbotsschilder gesehen haben.

Ortsbild

Guarda besticht durch seine dörfliche Idylle und viele alte gut erhaltene Engadiner Häuser. Das meiste ist nicht übersaniert, d.h. es finden sich an den alten Häusern auch durchaus „Gebrauchsspuren“, was aber den echten Charme ausmacht. Unter der Woche Ende Juni waren wir fast die einzigen, die durch das Dorf bummelten – zu Veranstaltungen oder am Wochenende ist sicher mehr los. Fürs leibliche Wohl gibt es ein Restaurant und ein Café.

Sgraffito

Weit verbreitet in Graubünden sind Steinhäuser, deren Fassaden mit Mustern geschmückt sind. Hier in Guarda gibt es kaum ein Gebäude ohne Verzierungen. Von weitem könnte man das für Malerei halten, ist es aber nicht. Es ist eine spezielle Kratztechnik im Hausputz und wird Sgraffito genannt. Dabei werden in die meist weiß gekalkte Oberfläche eines gefärbten Wandputzes Ornamente eingekratzt, wodurch der Untergrund wieder zum Vorschein kommt. Im Mittelalter waren neben Italien auch Süddeutschland und Graubünden Zentren dieser Wandgestaltung. Fast 10 Jahre dauert es, um das Handwerk richtig zu erlernen, denn Fehler sind nur schwer zu korrigieren. Für ein Haus braucht es ungefähr ein Jahr von der Planung bis zur Fertigstellung. Man findet nicht nur grafische Muster, sondern auch Lebensweisheiten. Einen haben wir mal versucht, aus dem Rätoromanischen zu übersetzen.

Das Geschichte vom Schellen-Ursli

Die Autorin Selina Chönz wählte für den Titelhelden ihres Kinderbuchs als Heimat das Dorf Guarda. Der kleine Bube Ursli muss mit seiner kleinen Kuhglocke (Schweiz: Schelle) immer am Ende des jährlich stattfinden Glockenumzugs, dem sogenannten Chalandamarz, laufen. Er ist deswegen sehr traurig und beschließt, von einer Alm eine größere Glocke zu holen. In einem abenteuerlichen Marsch durch Schnee gelingt ihm das und seine Freude ist riesig, denn mit der nun größten Schelle darf er den Umzug anführen.

Das Schellen-Ursli Museum

Guarda hat seinem „Sohn“ selbstverständlich ein kleines Museum gewidmet, das man nicht verpassen sollte. Es ist in einem alten Bündner Haus untergebracht, dessen Räume mit alten Gegenständen der Landbevölkerung einen Eindruck vom Leben Mitte des letzten Jahrhunderts vermitteln. Der Eintritt ist frei, aber man kann eine Spende hinterlassen (Einwurf am Eingang).

Im hinteren Bereich findet man ein Museums-Café mit zahlreichen Sitzplätzen. Kaffee, Engadiner Nusstorte und kalte Getränke stehen zur Selbstbedienung parat – gezahlt wird auf Vertrauensbasis in eine kleine Metallkasse.

Im Flur liegen einige Schellenursli-Bücher, in denen man blättern kann und es macht Spaß, die Erinnerung aufzufrischen. Die Geschichte gehört neben Heidi zu den bekanntesten Kinderbüchern der Schweiz und wurde im Jahr 1945 erstmals veröffentlicht. Das Buch lebt neben der tollen Geschichte von Selina Chönz auch von den wunderschönen Illustrationen des Zeichners Alois Carigiet. Mittlerweile wurde es in 14 Sprachen übersetzt – sogar eine chinesische und japanische Version gibt es. 

Wer noch mehr in die Geschichte rund ums Schellen-Ursli eintauchen möchte, kann dies auf einem ihm gewidmeten 3 km langen Wanderweg tun. Allerdings sind hierbei knapp 250 Höhenmeter zu überwinden und der Weg ist als nicht kinderwagentauglich beschrieben, was auch immer das bedeutet mag, denn wir sind ihn wegen eines aufziehenden Gewitters nicht gelaufen. 

Tradition des Chalandamarz

Anfang März wird in einigen Gemeinden immer noch das Vertreiben des Winters mit dem traditionellen Chalandamarz gefeiert. Jedes Jahr am 1. März freuen sich dort die Kinder auf dieses spezielle Fest, das sie komplett selbst organisieren. Es ist nach wie vor Ehrensache – inzwischen nicht mehr nur für die Buben – dass man bei den umliegenden Bauern nach der größten Glocke sucht und hierbei seine „Beziehungen“ spielen lässt 😉 (Onkel, Tante etc.).